Vor einem Vierteljahrhundert startete Netflix als DVD-Versandhändler. Heute ist es die erfolgreichste kommerzielle Streaming-Plattform der Welt. Doch das Geschäftsmodell steht auf wackeligen Beinen. Von Marcus Schuler, ARD Studio Los Angeles

Für Joe Flint, Medienreporter beim Wall Street Journal, ist klar: Netflix ist erwachsen geworden, während andere Anbieter noch in den Kinderschuhen stecken. Erstmals in seiner Geschichte musste das Silicon-Valley-Unternehmen aus Los Gatos südlich von San Francisco im April einen Rückgang seiner Abonnentenzahlen vermelden. Gut eine Million zahlende Kunden haben im ersten Halbjahr ihre Abos gekündigt.

Netflix-Mitbegründer und CEO Reed Hastings versucht zu erklären: „Wir haben eine ziemlich hohe Marktdurchdringung. Und das in Kombination mit dem Wettbewerb ist unserer Meinung nach der Grund für weniger neue Abonnenten und geringeres Wachstum.“

Das Unternehmen galt lange Zeit als Wunderkind des Silicon Valley, weil es das Verhalten seiner Nutzer konsequent auswertet, sagt Medienexpertin Julia Alexander von Parrot Analytics: „Das Unternehmen hat seinen Investoren und der ganzen Welt gesagt, dass wir vorhersagen können, was das Publikum will um zu sehen. Wir wissen, welche Inhalte zu produzieren sind.”

Die Wendung kommt

Gerade dieser Instinkt für neue innovative Substanzen funktioniert nicht immer. Der Streamer lässt Serien, Dokumentationen und Spielfilme für mehr als 20 Milliarden Dollar im Jahr produzieren. Mehr als jede andere Pay-TV-Plattform oder Anbieter. Und das nicht nur in Hollywood.

Um erfolgreich zu sein, muss Netflix Serien und Filme produzieren, die in wichtigen Märkten wie Frankreich, Deutschland oder Spanien Gesprächswert schaffen. Diese Strategie ist jedoch kostspielig, da nicht alle Inhalte in anderen Ländern gleich gut funktionieren. Das größte Problem von Netflix ist jedoch, dass es sich bisher nur auf ein Standbein verlassen hat: die Abonnementeinnahmen. Jetzt kommt die große Wendung.

„Werbung auf Netflix war lange Zeit ein Tabuthema. Mitbegründer Hastings hat immer gesagt, dass dies eine Plattform ist, die für den Zuschauer gebaut wurde. Abonnenten wollen keine Werbung, Werbung unterbricht Inhalte“, sagte Journalist Flint.

Ende der Passwortfreigabe?

Ab dem kommenden Jahr will das Unternehmen aus dem Silicon Valley aber genau das tun: ein vergünstigtes Abo, voraussichtlich deutlich unter 10 Euro im Monat, aber mit Werbeunterbrechungen. Doch das wird den Konzern zunächst Millionen kosten, sagt Analyst Jon Fortt: „Niemand bei Netflix hat mit diesem Szenario gerechnet. Sie haben oft nicht die Rechte, Werbung auf allen Inhalten zeigen zu können. Verträge mit Studios wie Sony Universal oder Warner Brothers muss sich ändern. Aber die Studios sind jetzt klüger und sie werden diese Rechte nicht einfach aufgeben. Mit anderen Worten, es wird teuer für Netflix, billiger zu werden.“

Andererseits könnte das Werbemodell mittelfristig viel Geld verdienen, weil der Streamingdienst seine Nutzer sehr gut kennt und auch interaktive Werbemodelle entwickeln kann. Zum Beispiel Kleidung kaufen, die Sie in einer Serie oder in einem Film gesehen haben. Frisches Geld durch Werbung ist das eine.

Die andere: Das Unternehmen will auch gegen das Teilen von Passwörtern vorgehen. Schätzungsweise 100 Millionen Menschen nutzen den Dienst, ohne zu bezahlen. In Zukunft müssen Benutzer mit zusätzlichen Gebühren rechnen, wenn Netflix feststellt, dass das Passwort geteilt wurde. Analyst Jon Fortt befürchtet jedoch, dass Netflix in den kommenden Jahren deutlich teurer werden dürfte: „Werbung wird es nicht nur zu den günstigsten Preisen geben. Sie wird in den meisten Tarifen enthalten sein und letztlich müssen Abonnenten mehr bezahlen als jetzt die Anzeige komplett eliminiert zu haben“, sagt er.

25 Jahre Netflix

Marcus Schuler, ARD Los Angeles 29.08.2022 06:37 Uhr