Ins Zentrum des Sturms gerückt: Werner Meier, Beauftragter für die volkswirtschaftliche Beschaffung. Danny Schlumpf
Die globale Energiekrise spitzt sich zu. Nun droht auch den Eidgenossen der Extremfall. «Das Land muss sich auf einen Mangel einstellen», mahnte Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) am Mittwoch an einer Pressekonferenz mit Kollege Guy Parmelin (62). Er schlug jedoch einen anderen Ton an. Parmelin forderte: “Wir müssen einen Mangel verhindern.” Mit anderen Worten: Der Energieminister wartet auf den Ernstfall, der Finanzminister hofft noch immer, dass es nicht dazu kommt. Das ist wichtig. Seit Monaten schiebt Parmelin die Krisenvorbereitungen hinaus. Aber wenn der Mangel kommt, ist er verantwortlich. Der Finanzminister hat jetzt einen Maßnahmenkatalog bei Gasknappheit angekündigt. Damit rückt Parmelins Bundesamt für volkswirtschaftliche Beschaffung (BWL) ins Zentrum des Sturms. Seine Beamten arbeiten akribisch an den entsprechenden Vorschriften. BWL muss die Schweiz im Winter retten. Leider ist das Büro dafür sehr schlecht ausgestattet. Das fängt auf der Personalebene an. Zum Vergleich: Der Bundesgesundheitsdienst hat die Pandemie mit 660 Mitarbeitern bewältigt, die Betriebswirtschaft geht mit 35 Mitarbeitern durch die Energiekrise. Hinzu kommen 250 Milizionäre aus der Wirtschaft. Aber ihre Jobs sind dürftig. Der Leiter der Zentralen Energieabteilung soll 20 Tage im Landesversorgungsdienst arbeiten – pro Jahr. Und an der Spitze steht Repräsentant Werner Meier (66), der die Organisation mit 40% Auslastung führt. „Die Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle in der wirtschaftlichen Landesversorgung“, sagt Meier gegenüber Sonntagsblick. „Die Bundesregierung unterstützt sie dabei. Die enge Verbindung bleibt auch im Krisenfall bestehen, weil die Wirtschaft Managementmaßnahmen anwendet.“ Einfache Energiespartipps: So vermeiden Sie Stromausfälle (01:14)

Ein verwundbares System

Eine solche Schnittstelle von Wirtschaft und Verwaltung in einem Bundesamt ist einzigartig. Und anfällig für Blockaden, denn am Ende entscheidet immer ein Dritter – der Bundesrat. Jüngstes Beispiel: Die BWL wurde von den Unternehmen überredet, die privaten Haushalte zum Sparen zu zwingen, Parmelin gelang das bei den anderen Bundesberatern nicht. Sie nennen rechtliche Hindernisse. Aber vielleicht denken sie auch an die Wahlen im nächsten Jahr, denn die kalten Räume sorgen für eisige Stimmung an der Wahlurne. Die Ressourcen der BWL sind bescheiden, aber ihr Einfluss ist enorm. «Das Amt hat viel Macht», sagt Simon Banholzer (36), Leiter Politik bei der Stiftung Energie Schweiz. „Das Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung lässt Eingriffe in alle Teile der Wirtschaft und Bevölkerung zu. Die endgültige Entscheidung liegt jedoch beim Bundesrat. Er unterschreibt die Dekrete.” Dies wird nächste Woche auch im Hinblick auf die Gasknappheitsbestimmungen geschehen. Verordnungen werden Zunder. Denn sie bestehen ausschließlich aus Geboten und Verboten. Das heißt: Wenn Sommarugas Sparappelle nicht greifen, kommt Parmelin mit dem Vorschlaghammer. Dazwischen gibt es nichts. Anders in den Nachbarländern, die seit langem mit anderen Anreizsystemen arbeiten. Beispielsweise erhalten deutsche Unternehmen, die ihre Maschinen zwischendurch abschalten, eine Entschädigung vom Staat. „Die Betriebswirtschaftslehre dagegen scheint überhaupt nicht über Anreize nachzudenken“, sagt Simon Banholzer. “Es umgeht nur die zentrale Phase zwischen Einsprüchen und Sperren.”

Keine Anreize

Das beunruhigt auch SP-Nationalrat Roger Nordmann (49): «Verbote lassen sich nicht über Nacht durchsetzen. Deshalb braucht es einen Plan für die Phase davor. Dazu gehören Anreize in Form von Angeboten, wie sie grenzüberschreitend schon lange angeboten werden.“ FDP-Staatsrat Damian Müller (37) wandte sich mit dieser Frage an das Bundesamt für Energie von Sommaruga. „Wir diskutieren die Anreize, freiwilliges Sparen sinnvoll zu machen“, sagt Müller. „Für den Erdgasverbrauch könnten sie bereits auf den Markt gebracht werden. Die Maßnahmen kommen zu den bereits von der Bundesregierung skizzierten Sparaufrufen und Quoten hinzu.” In der Parmelin-Abteilung scheint es niemanden zu interessieren. Aber es gibt noch einen weiteren blinden Fleck in der Betriebswirtschaftslehre: Die Regulierungen, die das Amt nun erwägt, befassen sich ausschließlich mit der Erdgasknappheit. Und Strom, dessen Preise durch die Decke gehen? niemand. Mit Ostral gibt es einen Organismus, der bereit ist, im Extremfall den Saft abzustellen. „Aber es gibt offenbar kein Konzept der Vorstromphase“, kritisiert Roger Nordmann. „Parmelin muss das dringend aufgreifen und bekannt machen. Transparenz ist nötig, um Vertrauen zu schaffen.” Stromausfälle, Blackouts, Tourismus

Schwerfälliges Milizsystem

Je näher der Mangel, desto schwerer Parmelins Zögern. Denn Unternehmensführung ist umständlich. Das Milizsystem in der Landesversorgung sei grundsätzlich gut, sagt Alexander Keberle (30), Leiter Energie bei Economiesuisse. «Die Kehrseite ist, dass wir in der Schweiz nicht so schnell auf eine akute Krisensituation reagieren können wie professionelle Krisenorganisationen in anderen Ländern.» Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher (54) verteidigt das Prinzip: «Wir müssen das Amt jetzt unterstützen, statt es zu schlagen. Aber auch die Unternehmensführung und die Energiewirtschaft müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein.“ Keine Frage: Werner Meier ist derzeit nicht beneidenswert. „Natürlich ist der Druck da“, sagt der Leiter der Betriebswirtschaftslehre. “Die Arbeitsbelastung steigt.” Seit Jahren ist bekannt, dass seine Position unterbezahlt ist. Doch erst im vergangenen März kam der Bundesrat zum Schluss, dass sie aufgestockt und ein hauptamtlicher Vertreter an der Spitze stehen soll. Was ist seitdem passiert? «Der Bundesrat hat erkannt, dass die Personalsituation unzureichend ist und hat bereits grünes Licht für eine gezielte Personalaufstockung gegeben», sagt das Finanzdepartement von Parmelin. Mit anderen Worten: Es ist nichts passiert. Meiers Nachfolge ist noch offen. Ende November tritt der Chef des Mini-Büros zurück – inmitten einer Energiekrise historischen Ausmaßes. Mehr zur Energiekrise und Stromknappheit