Niedrigwasser im Rhein behindert nicht nur die Schifffahrt. Auch der Wasserstand hat Folgen für die Natur. Experten fordern eine Überprüfung. Von Sandra Biegger, SWR
Robert Egeling arbeitet seit 24 Jahren im NABU-Zentrum Rheinauen in Bingen – mit Blick auf den Rhein. So wie jetzt hat er den Fluss noch nie gesehen. An den Rändern fließt kein Wasser mehr, Sandbänke und Watten dominieren das Bild. Höchstens einige Wasservögel freuen sich darüber – denn jetzt finden sie dort problemlos Nahrung, zum Beispiel Algen und Wasserpflanzen. Im angrenzenden Auwald sieht man bereits die ersten vertrockneten Baumkronen. Egeling sagt, es sei keine unberührte Flusslandschaft mehr.
Immer noch Ebbe und Flut
Der Rhein verträgt Hoch- und Niedrigwasser wirklich gut. Es ist ganz natürlich, dass es mal zu viel und mal zu wenig Wasser gibt. Allerdings werden die Abstände zwischen den Niedrigwasserphasen immer kürzer, sagt Egeling. Nach 2003 und 2018 gibt es derzeit die dritte Niedrigwasserphase in relativ kurzer Zeit. Extrem niedrige Wasserstände im Rhein traten in der Vergangenheit im Schnitt nur alle 50 Jahre auf.
Laut Eggeling wird sich der Trend zu Niedrigwasser verstärken. Der Geograph und Hydrologe begründet dies damit, dass der Rhein vor allem von Niederschlägen, Schnee und Gletscherschmelzwasser sowie dem Zufluss kleinerer Nebenflüsse gespeist wird. Es gibt in dieser Zeit kaum Niederschlag, die Gletscher schmelzen weiter und einige der kleinen Flüsse und Bäche, die in den Rhein münden, führen kein Wasser mehr.
Die Nachricht ist, dass der Rhein bereits im August niedrig ist. Bisher sei es immer nur im Herbst gewesen, betont der Geschäftsführer des NABU-Zentrums Rheinauen.
Viele Tiere wurden schwach
Die Auswirkungen von Niedrigwasser auf die Natur seien noch nicht dramatisch, sagt Marc Daniel Heintz von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins. Sie müssen noch handeln. Heintz sagt, dass sich Fische und Schiffe derzeit nur in einem relativ engen Bereich bewegen können. Zusammenstöße sind unvermeidlich – bei diesen Fischen verliert man unweigerlich. Viele Tiere sind bereits geschwächt.
Die Sonne erwärmt den Rest des Wassers immer schneller und die höhere Temperatur verursacht bei vielen Fischen körperlichen Stress. Für Fische, aber auch für Muscheln ist zudem problematisch, dass der Sauerstoffgehalt im Rhein durch höhere Wassertemperaturen immer weiter abnimmt. Viele Muscheln sind bereits gestorben.
Die Wege zur „Sommerfrische“ schneiden sich ab
Fische, die es etwas kühler mögen, wie der Aal, wanderten traditionell im Sommer in die Altrheinarme, also die vom Rhein in seinem ursprünglichen Flussbett hinterlassenen Bögen, bevor sie sich Anfang des 19. Jahrhunderts wieder erholten. Im Altrheinarm ist das Wasser oft deutlich kälter, auch weil es dort mehr Schatten gibt. Das Problem ist, dass die Fische bei Ebbe nicht dorthin gelangen können.
Auwälder leiden
Niedrigwasser ist auch für Auwälder entlang des Rheins kritisch. Davon kann Thomas Nissen, Leiter des Forstamtes der Region Rastatt, ein Lied singen. Zu seinem Territorium gehört der Rheinauewald bei Rastatt. Dort ist alles darauf ausgerichtet, dass der Rhein regelmäßig über die Ufer tritt. Laut Nissen wird eine anhaltende Dürre das Aussehen der Uferlandschaft nachhaltig verändern, je nach Standort sterben zum Beispiel Silberweiden und Schwarzpappeln ab. Auch die Bäume heute zeigen, dass ihnen das Niedrigwasser Stress bereitet.
Niedrigwassertouristen schaden der Natur
Egeling vom NABU-Zentrum Rheinauen beschäftigt die Küstenlandschaft aus einem ganz anderen Grund. Das aktuelle Niedrigwasser lockt viele Zuschauer an. Sie sind in ansonsten unzugänglichen Bereichen von Ufern und Flüssen unterwegs, zerstören wertvollen Lebensraum und verscheuchen Vögel.
Regen allein löst das Problem nicht
Nur auf Regen zu hoffen, sei keine Lösung, sagt Heintz von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins. Er plädiert dafür, noch mehr Deiche abzubauen – damit beispielsweise Fische leichter in die kälteren Arme des Altrheins entkommen können. Von 2000 bis 2020 wurden 140 Quadratkilometer Auen renaturiert und 154 Altgewässer wieder an den Rhein angebunden. Bis 2040 sollen weitere 200 Quadratkilometer Auen und 100 Altarme folgen.
Egeling vom NABU plädiert für eine generelle Überprüfung: Endlich die Schiffe zum Fluss verkleinern, nicht der Fluss zu den Schiffen. Den Rhein noch tiefer zu graben, wie es Politik und Wirtschaft oft forderten, sei keine Lösung, betont er. Dadurch würde nur mehr Wasser im Korridor eingeschlossen und von den Fischen und der Küstenlandschaft weggezogen. Man könne den Klimawandel nicht einfach bekämpfen, sagt er.