Trotz der Folgen des Ukraine-Krieges ist die deutsche Wirtschaft im Frühjahr überraschend leicht gewachsen. Ökonomen und Unternehmenslenker rechnen jedoch für die kommenden Monate mit schwierigen wirtschaftlichen Zeiten.

Deutschlands Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2022 unerwartet leicht gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im Vergleich zum Vorquartal um 0,1 % gestiegen. Das teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) heute mit. Aufgrund der Folgen des Ukraine-Krieges waren die Wiesbadener Behörden in einer ersten Einschätzung von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung ausgegangen.

„Trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2022 gut behauptet“, sagte Destatis-Präsident Georg Thiel. In den ersten drei Monaten des Jahres wuchs die deutsche Wirtschaft um 0,8 %. Ein Blick auf das Vorquartal zeigt, dass die Wirtschaftsleistung erstmals wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat. In den letzten drei Monaten des Jahres 2019 war das Wachstum im Vergleich zum Vorquartal flach.

Konsum bewahrt die Wirtschaft vor dem Kollaps

Gestützt wurde die Konjunktur laut Statistikern im Frühjahr vor allem von den privaten und staatlichen Konsumausgaben. Die Aufhebung fast aller Corona-Beschränkungen Ende März hat in vielen Menschen die Reiselust geweckt. Die Ausgaben für Dienstleistungen im Gastgewerbe und im Verkehr stiegen stark an: „Ein noch stärkerer privater Konsum verhinderte einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts“, erklärte der wissenschaftliche Leiter des Gewerkschaftsinstituts IMK, Sebastien Dalien.

Zudem nahm der Handel mit anderen Ländern insgesamt zu. Obwohl im zweiten Quartal deutlich weniger Waren nach Russland exportiert wurden als zu Beginn des Jahres, verzeichneten die Unternehmen in den Folgen des Ukraine-Krieges insgesamt stabile Exporte: Trotz gestörter globaler Lieferketten wurden 0,3 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen aus Russland exportiert Erstes Viertel. Allerdings stiegen die Importe um 1,6 % stärker als im Vorquartal.

Chefökonom Thomas Gitzel von der liechtensteinischen VP Bank weist darauf hin, dass Deutschland im Vergleich zum Mini-Wachstum nur im unteren Drittel der Eurozone landet. Teilweise war ein deutlich stärkeres BIP-Wachstum zu verzeichnen – etwa in Spanien (1,1 Prozent) und Italien (1,0 Prozent). Allerdings hat sich die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal besser entwickelt, als es die Zahlen allein vermuten lassen.

Das Geschäftsklima verschlechtert sich weiter

Das könnte sich jedoch ändern. Angesichts der Energiekrise stehen der deutschen Wirtschaft nach Ansicht vieler Experten schwierige Monate bevor. So rechnet die Bundesbank beispielsweise damit, dass die Wirtschaftsleistung im Sommer „grob zum Erliegen kommt“ und dass es im Wintersemester zu einer Rezession kommen könnte. Ein Grund: hohe Preise. Die Notenbank geht davon aus, dass die Inflation in Deutschland im Herbst „eine Größenordnung von zehn Prozent“ erreichen könnte. Energiepreissprünge infolge des Krieges in der Ukraine und steigende Lebensmittelpreise heizen seit Monaten die Inflation an.

Auch das ifo Institut erwartet, dass der private Konsum als Konjunkturmotor im Jahresverlauf aufgrund der Verbraucherpreise ausfallen wird. Die höheren Lebenshaltungskosten verringern die Kaufkraft. Das zeigt auch das wieder eingetrübte Geschäftsklima. Der ifo-Index – Deutschlands wichtigster Konjunktur-Frühindikator – ist im August auf 88,5 Punkte gefallen nach 88,7 Punkten im Vormonat, teilte das Münchner Institut nach seiner aktuellen Befragung von rund 9.000 Führungskräften mit. Die Stimmung in den Chefetagen verschlechterte sich zum dritten Mal in Folge. Deutsche Top-Manager sind so pessimistisch wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr.

„Die Unsicherheit bei den Unternehmen bleibt hoch“, sagte ifo-Präsident Clemens Fuest. “Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen.” Ökonom Marcel Fratzscher geht noch einen Schritt weiter. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass der sechsmonatige Krieg Russlands gegen die Ukraine die deutsche Wirtschaft voraussichtlich noch Jahre belasten werde. .

Länder sind schwarz

Die Kassenlage des deutschen Staates hat sich im ersten Halbjahr 2022 trotz zusätzlicher Belastungen durch den Krieg in der Ukraine inzwischen deutlich verbessert. Laut Destat ist das Defizit stark gesunken. Bis Ende Juni hatten Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen zusammen 13 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen.

Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Staatsdefizit bei 0,7 Prozent. Ein Jahr zuvor war es vor allem wegen der Corona-Milliardenhilfe um 4,3 Prozent gesunken – das entsprach einem Defizit von 75,6 Milliarden Euro.

Während der Bund ein Minus von 42,8 Mrd. Euro meldete, schrieben sowohl die Länder (+16,6 Mrd. Euro), die Kommunen (+5,7 Mrd. Euro) als auch die Sozialversicherungen (+7,4 Mrd. Euro) schwarze Zahlen Zeit. Die Steuereinnahmen stiegen im ersten Halbjahr um 11,6 % und übertrafen damit deutlich das Vor-Corona-Krisenniveau im ersten Halbjahr 2019.

Die deutsche Wirtschaft wächst – kaum

Dorothee Holz, HR, 25.8.2022 09:27 Uhr