Fast 50 Prozent der Menschen in Europa sind kurzsichtig – Tendenz steigend. Fehlsichtigkeit tritt auf, wenn die Augäpfel von Kindern zu groß werden, wodurch das von der Augenlinse erzeugte Bild vor der Netzhaut liegt. Neben der genetischen Veranlagung sind die Hauptursachen häufiges Lesen, Sitzen am Computer und andere Aktivitäten im Zusammenhang mit eingeschränkter Konzentration. Sie können dies behandeln, indem Sie sich so viel wie möglich im Freien aufhalten, da die UVB-Strahlung der Sonne das Wachstum des Augapfels verlangsamt. Wie sich nun gezeigt hat, könnte ein natürliches Abbauprodukt von Koffein das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern verlangsamen. 7-Methylxanthin (7-MX) entsteht bei der Verstoffwechselung von Koffein im menschlichen Körper. Im Gegensatz zu Koffein kann 7-MX jedoch kaum die Blut-Hirn-Schranke passieren und hat daher keine Erregungswirkung. Auch in relativ hohen Dosen gilt es als unbedenklich und verträglich.
Eine Bremse für das Wachstum des Augapfels?
Aber das Interessante: In Versuchen mit Meerschweinchen, Kaninchen und Rhesusaffen zeigte 7-MX bereits vor einigen Jahren eine deutliche Wirkung auf die Entwicklung des Augapfels. Das Abbauprodukt des Koffeins fördert offenbar die Stabilisierung der Dermis durch Kollagenfasern und wirkt so der Erweiterung des Augapfels entgegen. 2008 zeigte auch eine einjährige Pilotstudie mit 42 kurzsichtigen Kindern erste vielversprechende Ergebnisse: Bei täglicher Gabe von 400 Milligramm 7-MX verschlimmerte sich die Kurzsichtigkeit etwas langsamer und auch die Augäpfel der Kinder wuchsen weniger. Was das für Kinder langfristig bedeutet, zeigt eine erste Langzeitstudie von Klaus Trier vom Forschungszentrum Trier im dänischen Hellerup und seinen Kollegen. Zwischen 2000 und 2021 untersuchten sie die Augenentwicklung von 711 Kindern im Alter zwischen sieben und 15 Jahren. Alle Kinder waren zu Beginn des Studienzeitraums kurzsichtig, ihre Dioptrienzahl lag zwischen -0,5 und -9. 624 dieser Kinder nahmen über mehrere Jahre täglich zwischen einer und drei 400-mg-Tabletten 7-MX ein.
Messbarer dosisabhängiger Effekt
Das Ergebnis: Bei Kindern, die 7-MX regelmäßig einnahmen, schritt die Kurzsichtigkeit langsamer voran. Ihr Augapfel wuchs weniger und die Dioptrie nahm in geringerem Maße zu. Diese Hemmwirkung war umso ausgeprägter, je höher die Tagesdosis des Wirkstoffs war und je früher mit der Behandlung begonnen wurde. Gleichzeitig berichtete keines der Kinder von Nebenwirkungen durch die Einnahme des Koffeinabbauprodukts, berichtet das Team. Konkret ergaben die modellbasierten Auswertungen: „Ein Kind, das zunächst sieben Jahre alt ist und eine anfängliche Kurzsichtigkeit von -2,43 Dioptrien hat, wird in den nächsten sechs Jahren ohne Behandlung etwa -3,49 Dioptrien zunehmen“, berichten Trier und sein Team. Bei einer Tagesdosis von 1.000 Milligramm 7-MX wären es hingegen nur -2,65 Dioptrien mehr. Gleiches gilt für das Augapfelwachstum: Ohne Behandlung würde das Kinderauge in sechs Jahren um 1,80 Millimeter zunehmen, mit 7-MX wären es 1,63 Millimeter.
„Könnte klinisch wichtig sein“
Die Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse der Pilotstudie und legen nahe, dass 7-MX das Fortschreiten der Myopie bei Kindern zumindest verlangsamen kann. Die Wirkung ist nach Angaben des Forscherteams sogar etwas stärker als bei bisherigen Ansätzen wie Atropin-Augentropfen. „Die Wirksamkeit in diesem Bereich könnte klinisch wichtig sein, weil sie das Risiko von Myopie-bedingten Komplikationen reduziert“, erklären Trier und Kollegen. Schwere Myopie erhöht das Risiko von Netzhautrissen, Makuladegeneration und Glaukom. Allerdings räumen Trier und sein Team ein, dass ihre Beobachtungsstudie noch kein endgültiger Kausalitätsbeweis ist. Dazu soll nun eine placebokontrollierte klinische Studie durchgeführt werden. Auch mögliche Einflussfaktoren wie Gene, Aufenthalt im Freien und Lebensgewohnheiten wurden in der Langzeitstudie nur teilweise erfasst. Sie sehen 7-MX jedoch als vielversprechenden Ansatz für Kurzsichtigkeit. „Frühe Kurzsichtigkeitseingriffe können Kinder nicht davor bewahren, eine schwere Kurzsichtigkeit zu entwickeln“, sagt Trier. „Wenn sich die ursächliche Wirkung von 7-MX bestätigt, könnte es daher eine wertvolle Zusatztherapie sein.“ (British Journal of Ophthalmology, 2022; doi: 10.1136/bjo-2021-320920) Was: BMJ 25. August 2022 – Nadja Podbregar